VIEL LÄRM UM NICHTS
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VIEL LÄRM UM NICHTS

Ich wohne mitten im Grünen. Weil ich das so wollte. Ich mag die Natur.

Das Kommen und Gehen, das Werden und Vergehen von Blumen und Blüten, Jahreszeiten, Sonne, Wind und Regen. Es ist auf dem Land viel unmittelbarer als in der Stadt. Dort kriegt man den Wechsel von Winter zu Frühling oft nur deshalb mit, weil plötzlich wieder alle Leute draußen vor den Cafés sitzen und nicht mehr drinnen.

Und eigentlich dachte ich auch mal, es wäre wunderbar ruhig hier auf dem Land.

Dachte, ich könnte die Ruhe genießen, das Vogelgezwitscher, das Rauschen der Blätter im Wind.

Dachte, ich könnte die Stille förmlich hören. Das ist leider nicht so.

Denn sobald die ersten Sonnenstrahlen wieder nach draußen locken, wird in meiner Nachbarschaft das gesamte Gartengeräte-Sortiment, das Baumärkte zu bieten haben, ausgepackt. Endlich Ordnung schaffen! Auch draußen!

Da werden Rasenflächen gemäht, sobald die Grashalme die 2 Zentimeter Marke überschreiten, Laub wird aus allen Ecken herausgeblasen, Motorsägen kreischend an lästige, die Sicht versperrende Bäume angesetzt, Äste geschreddert, Terrassen gekärchert, Hecken im rechten Winkel geschoren – es gibt viel zu tun. Und für jede Tätigkeit gibt es das entsprechende Gerät, Hauptsache motorisiert. Denn es soll sauber und ordentlich sein, die zwei Grundpfeiler der menschlichen Zivilisation.

Foto: Fotolia, vbaleha

Ich frage mich, wie die Erde das überlebt hat, dass Jahrmillionen vor der Erfindung der Laubbläser kein Mensch das Laub weggepustet hat? Eigentlich müssten wir demnach auf einer kilometerdicken Schicht Laub leben. Zumal es früher auch noch viel mehr Bäume gab. Und in einer darauf liegenden Schicht an Blüten, die die Bäume so abwerfen, ertrinken. In Moos waten, von wild wuchernden Hecken an die Hauswand gedrückt und vom baumhohen Gras erstickt werden.

Wo kommt eigentlich all das Zeug hin, das die Gartengeräte der Natur abtrotzen? Wird der Naturmüll auch tonnenweise mit Schiffen nach China gefahren, weil wir hier keinen Platz dafür haben? Wahrscheinlich wird dort gute Erde daraus produziert, mit den Schiffen wieder zurückgefahren und hier in die Gärten gekippt, um Nachschub für den nachhaltigen Einsatz der Gartenmaschinen zu züchten.

Abtransport von Rasenschnitt, gehäckselten Äste und Laubbergen?

Foto: Fotolia/Ophie

Man könnte sich doch die ganze Arbeit sparen, den Dreck, den die Natur so produziert auch, in dem man sich den Segen der modernen Technik zunutze macht. Man könnte einfach in Trutzburgen wohnen, die Natur komplett aussperren, sie an meterhohen Betonwänden scheitern lassen und es sich drinnen sauber und ordentlich vor riesigen Bildschirmen gemütlich machen, auf denen Szenen aus der Natur gezeigt werden. Mit Vogelgezwitscher und Blätterrauschen. In Ruhe, denn durch die super gedämmten Scheiben dringt nämlich kein Lärm von außen. Man müsste nur leider auf die Maschinen verzichten, denn wenn auf der Leinwand das Laub zu rieseln anfängt, drückt man einfach auf Stop und streamt das nächste Video, das mit dem perfekten Rasen.

Ich mag die Natur. Ich mag es, wenn mit jedem Windstoß diese Baumgrissel auf meine Terrasse wehen. Und ich mag es, wenn mein Hund sie in seinem Fell ins Haus trägt und überall verteilt.

Dann kann ich nämlich den Staubsauger anwerfen und drinnen für Sauberkeit sorgen.

Christina Jacob

Arbeitet als freie Autorin und Texterin und lebt als ursprüngliches Großstadtkind inzwischen mit Hund & Katz in einem kleinen Häuschen an einem der oberbayerischen Seen. Klingt romantisch, aber ihr Romantikbedarf gerät jeden Winter an seine Grenzen, weil sie ausschliesslich mit Holz heizt.

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